Bundessozialgericht

Verhandlung B 7 AS 1/23 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Eingliederungszuschuss - Rückforderung - Arbeitgeberkündigung - Probezeit

Verhandlungstermin 10.04.2024 10:00 Uhr

Terminvorschau

A. A. & M. GmbH ./. Jobcenter Landkreis Kelheim
Die Beteiligten streiten über eine teilweise Rückforderung eines Eingliederungszuschusses, den das beklagte Jobcenter der Klägerin für die Beschäftigung des Arbeitnehmers H vom 15. Februar 2017 bis 14. August 2017 leistete.

Die Klägerin ist unternehmerisch in der Werbebranche tätig und stellte H als Graphic Designer ein. Dieser hatte zuletzt im arabischsprachigen Raum gearbeitet und verfügte über nur geringe Deutschkenntnisse. Arbeitsvertraglich wurde ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis mit einer sechsmonatigen Probezeit vereinbart. Der Beklagte bewilligte der Klägerin einen Eingliederungszuschuss in Höhe von rund 1150 Euro monatlich unter Hinweis auf eine anschließende Nachbeschäftigungszeit des H bis zum 14. Februar 2018. Zugleich wies er auf die Verpflichtung zur Rückzahlung des Zuschusses durch die Klägerin hin, wenn das Arbeitsverhältnis ohne wichtigen Grund während der Förder- oder Nachbeschäftigungszeit beendet werde.

Die Klägerin kündigte H am 14. August 2017 zum 14. August 2017 “innerhalb der Probezeit“. Sie teilte mit, die Sprachbarrieren seien größer gewesen als erwartet und die fachliche Ausbildung habe unter dem deutschen Standard gelegen. Es habe vor der Kündigung das Angebot eines “Ausbildungsplatzes“ und mehrere Gespräche mit H gegeben. Der Beklagte forderte alsdann den Eingliederungszuschuss teilweise von der Klägerin zurück.

Das Sozialgericht hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen und das Landessozialgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Es hat zur Begründung unter anderem ausgeführt, keine der Ausnahmen von der an die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses geknüpften Zurückzahlungsverpflichtung des Eingliederungszuschusses im Sinne des § 92 Absatz 2 SGB III seien vorliegend gegeben. Insbesondere seien keine Gründe in der Person oder dem Verhalten des H erkennbar, die die Klägerin zur Kündigung hätten berechtigen können. Der stagnierende Spracherwerb sei kein Grund für eine personenbedingte Kündigung und im Übrigen seien fehlende Deutschkenntnisse der Anlass für die Förderung gewesen. Eine qualitative Minderleistung und unentschuldigtes Fernbleiben oder Verspätung setzten als steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers eine hier nicht vorliegende Abmahnung durch die Arbeitgeberin voraus. Die arbeitsrechtlichen Besonderheiten einer Probezeit änderten hieran sozialrechtlich nichts. Über die Rückzahlungsverpflichtung sei die Klägerin vom Beklagten auch hinreichend belehrt worden.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 92 Absatz 2 SGB III.

Verfahrensgang:
Sozialgericht München - S 2 AS 316/20, 29.09.2020
Bayerisches Landessozialgericht - L 7 AS 621/20, 25.04.2022

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 11/24.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin war im Sinne der Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht begründet.

Der Senat vermochte nicht abschließend darüber zu befinden, ob der Bescheid des Beklagten über die teilweise Rückzahlung des der Klägerin gewährten Eingliederungsschusses für die Beschäftigung des Arbeitnehmers H rechtmäßig ist. Es mangelt an hinreichenden Feststellungen dazu, ob die Klägerin zur Kündigung des H berechtigt war, so dass sie von der Rückzahlungsverpflichtung ausgenommen wäre.

Grundsätzlich wird die Verpflichtung zur teilweisen Rückzahlung des Eingliederungszuschusses nach § 92 Absatz 2 Satz 1 SGB III durch eine Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses während des Förderzeitraums oder einer Nachbeschäftigungszeit ausgelöst. Eine Kündigung durch die Klägerin ist vorliegend am letzten Tag des Förderzeitraums - 14. August 2017 - zum 14. August 2017 erfolgt. Die Rückzahlungsverpflichtung ist jedoch unter anderem nach § 92 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 SGB III gleichwohl ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber berechtigt war, das Arbeitsverhältnis aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen des Arbeitnehmers  zu kündigen. Unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik sowie Sinn und Zweck der Vorschrift beurteilt sich die Berechtigung zur Kündigung aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen des Arbeitnehmers dabei nach den arbeitsgerichtlich zu § 1 Absatz 2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz entwickelten Kriterien, ohne dass die Anwendbarkeit der Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes als Rechtsgrundverweisung in die Vorschrift hineinzulesen wäre.

Im Hinblick auf die verhaltensbedingte Kündigung ist nach einem objektiven Maßstab zu prüfen, ob im Verhalten des Arbeitnehmers liegende Umstände gegeben waren, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebs die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen ließen. Die verhaltensbedingte Kündigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn die vergangene Pflichtverletzung sich prognostisch in der Zukunft belastend auf das Arbeitsverhältnis auswirkt. Voraussetzung ist dabei - unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - nicht immer zwingend eine vorherige Abmahnung. Feststellungen, die eine Prüfung dieser Voraussetzungen ermöglichen könnten, hat das Landessozialgericht nicht getroffen.

Letzteres gilt auch, soweit die Klägerin die Berechtigung zu einer personenbedingten Kündigung vorbringt. Mit der Befugnis zur personenbedingten Kündigung soll dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet werden, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn der Arbeitnehmer nicht (mehr) die erforderliche Eignung oder Fähigkeit besitzt, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Ob dies aufgrund der von der Klägerin behaupteten geringer als erwarteten Deutschkenntnisse des H oder der Ausbildung, die etwas unter dem “deutschen Standard“ gelegen habe, der Fall war, hat das Landessozialgericht nicht festgestellt. Entgegen der Rechtsauffassung des Vordergerichts sind Gründe, die zur Förderung des Arbeitnehmers geführt haben, nicht von vornherein als personenbedingte “ungeeignet“. Weder der Wortlaut des Gesetzes noch dessen Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck rechtfertigen eine Einschränkung der zur Kündigung berechtigenden Gründe in § 92 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 SGB III mit dem letzten Tag des Förderzeitraums - wie vorliegend - beziehungsweise in der Nachbeschäftigungszeit.

Dass es sich hier möglicherweise um eine außerordentliche Kündigung beziehungsweise eine Kündigung innerhalb der Probezeit gehandelt hat, ändert nichts an den zuvor formulierten Grundsätzen.

Die Klägerin kann dem Rückzahlungsanspruch des Beklagten auch keinen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch entgegenhalten. Unabhängig von der hier vorliegenden Verletzung der Beratungspflicht durch den Beklagten kann der Zustand, der ohne die Beratungspflichtverletzung kausal entstanden sein könnte - nach dem Vortrag der Klägerin die Nicht-Einstellung des H - nicht durch eine zulässige Amtshandlung des Beklagten hergestellt werden.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 11/24.

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